Vom Unterwäschehersteller bis zur Haute-Couture-Stickereifirma: Gebeutelte Schweizer Textilunternehmen setzen in der Krise auf die Produktion von Masken für den Alltagsgebrauch und für Spitäler.
Beitrag in der NZZ von
Das St. Galler Stickereiunternehmen Forster Rohner wurde von der Corona-Krise hart getroffen. Dem Traditionsbetrieb, der Stickereien für Haute Couture, Prêt-à-porter und Lingerie fertigt, sind die Aufträge regelrecht weggebrochen. Zu den Kunden des Familienunternehmens gehören Modemarken wie Prada, Louis Vuitton oder Victoria’s Secret. Da die Boutiquen derzeit geschlossen sind, fehlen die Bestellungen.
Die Flaute dürfte noch einige Zeit anhalten, denn sobald die Geschäfte wieder öffnen, werden zuerst die Lagerbestände abgebaut. Für Forster Rohner geht es in der Zwischenzeit darum, Kurzarbeit im grossen Stil zu vermeiden und die Kapazitäten anderweitig zu nutzen. «Eine Grossstickmaschine eignet sich hervorragend für die Produktion von textilen, waschbaren Gesichtsmasken», sagt Emanuel Forster, der die Firma mit seiner Schwester Caroline Forster in der vierten Generation führt.
Textilfirmen spannen zusammen
Im Mai sollen die ersten waschbaren Masken fabriziert werden, die für den privaten Gebrauch und den Pflegebereich bestimmt sind. Das Unternehmen treibt die Produktion aber nicht im Alleingang voran, sondern hat sich mit anderen Textilfirmen zusammengetan. Dem Konsortium gehören unter anderem der Textilveredler Cilander und das auf Sport- und Funktionsbekleidung ausgerichtete Unternehmen Schoeller an. Diese beiden Firmen fokussieren sich auf die Stoffherstellung und die Textilausrüstung, während Forster Rohner das Sticken und die Konfektion der Maske übernimmt.
Die Betriebe nutzen die bestehenden Fertigungskapazitäten und müssen daher die Produktion nicht umstellen. Derzeit würden die industriell hergestellten Prototypen getestet, sagt Hendrikus van Es, Geschäftsleitungsmitglied bei Schoeller. Anschliessend wolle man die Atemschutzmasken zertifizieren lassen, damit diese neben dem Alltagsgebrauch auch im medizinischen Bereich zum Einsatz kommen könnten.
Triumph kooperiert mit Automobilzulieferer
Die Firmen wollen die Masken auch an den Bund liefern, der sie an Spitäler verteilt. Laut Burghard Schneider, Chef beim Textilveredler Cilander, hat der Bund eine Abnahmesicherheit kommuniziert und eine rasche Möglichkeit zur Zertifizierung der Masken zugesichert, zurzeit arbeitet er an der Festlegung einer Prüfnorm. In den qualifizierten Prüflabors bestehen derzeit Kapazitätsengpässe, und die Produktion kann erst mit der Zertifizierung gestartet werden.
Das Konsortium ist offen für weitere Mitglieder. In einem zweiten Schritt könnten die Masken auch bei ausländischen Tochterunternehmen gefertigt werden. Schneider betont zwar, dass der Einstieg ins Geschäft mit Masken für die beteiligten Firmen ein Risiko darstelle, doch langfristig eröffne sich auch eine Chance, die gut zu den Stärken der Schweizer Pharmabranche passe. Da die Maske technisch hochwertig und wiederverwendbar sei, könne man sich vor allem gegenüber asiatischen Anbietern differenzieren.
Die Produktion von waschbaren Hygienemasken bereits gestartet hat das Berner Familienunternehmen Lanz-Anliker, das technische Textilien fabriziert. Der Betrieb produziert rund 2000 Stück täglich. Zu den Kunden zählen Baubetriebe und Spitex-Angestellte.
Der Dessous-Hersteller Triumph spannt für die Produktion von Atemschutzmasken mit dem deutschen Automobilzulieferer Mahle zusammen. Geplant ist, monatlich 1,5 Millionen Masken zu fertigen, die auch im medizinischen Bereich eingesetzt werden können. Die Masken, die nicht in der Schweiz hergestellt werden, sollen an Behörden im deutschsprachigen Raum geliefert werden.
Masken statt Abendkleider
Bei Calida läuft die Maskenproduktion in den nächsten Tagen in Ungarn an. In einem ersten Schritt ist die Herstellung von 12 000 Masken geplant. Sollten in Zukunft mehr Kapazitäten benötigt werden, könnte laut Alexandra Helbling, Managing Director bei Calida, auch die Hilfe von einigen Produktionspartnern in Osteuropa in Anspruch genommen werden. Man steige jedoch nicht in die Massenproduktion ein, in erster Linie würden die Masken zum Schutz von Kunden und Angestellten hergestellt.
Im ungarischen Werk von Calida werden auch Gesichtsmasken produziert, die das Luzerner Modeatelier LU Couture mit einem Spezialistenteam entwickelt hat. Das Atelier stellt normalerweise massgeschneiderte Abendkleider und Fasnachtskostüme her, musste aber vor vier Wochen schliessen, weil keine Anproben mehr erlaubt sind.
Die vom Kanton Luzern unterstützte Public-private-Partnership, die auch eine Modeschule betreibt, sah sich in der Folge mit einer Flut von Anfragen konfrontiert. Coiffeure, Spitex-Mitarbeiterinnen und Senioren haben sich an das Atelier gewandt, weil sie nirgendwo sonst Hygienemasken beschaffen konnten. Die 40 Mitarbeiter, darunter 30 Lernende, arbeiten nun rund um die Uhr. Die Auszubildenden brächten viele neue Ideen ein, sagt Rufina Hümmer, Geschäftsleiterin von LU Couture. Pro Tag kann das Team 1000 Masken in Handarbeit produzieren, die für 8 Fr. verkauft werden. Dies reicht aber längst nicht aus, um alle Bestellungen bewältigen zu können. Wechselfiltermasken aus Jersey würden mit Unterstützung von Calida produziert, sagt Hümmer.
Vliesstoff schwierig zu beschaffen
Auch Universalmasken aus Vliesstoff zum einmaligen Gebrauch werden neuerdings in der Schweiz hergestellt. Die Firma Flawa Consumer, die Watteprodukte und Frischsohlen fertigt, produziert seit vergangenem Wochenende in grossen Mengen Masken für Private und Unternehmen. Die selbst hergestellte Maschine hat derzeit eine Produktionskapazität von rund 70 000 Einheiten pro Woche, diese wird schrittweise auf 200 000 erhöht. Bis Mitte Juli soll damit die Produktion auf rund zwei Millionen Masken steigen.
Die grösste Herausforderung war die Beschaffung des Vliesstoffs. Laut CEO Claude Rieser sind die Preise auf dem Weltmarkt wegen der Covid-19-Pandemie exponentiell gestiegen. Eine Maske kostet im Verkauf 1 Fr. Das Unternehmen will auch Masken für das Spitalpersonal fertigen. Als Produktionsbeginn ist Ende April vorgesehen, weil die Maschinen, die der Bund und der Kanton Zürich dafür bestellt haben, noch nicht angekommen sind.